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Artikel: Tagebuch einer Vintage-Jägerin: Inspirationsreise USA

Kolumne

Tagebuch einer Vintage-Jägerin: Inspirationsreise USA

Willkommen zu meiner neuen Kolumne "Aus dem Tagebuch einer Vintage Jägerin". Als langjährige Expertin im Bereich der Inneneinrichtung mit einem besonderen Fokus auf Vintage und Antiquitäten freue ich mich, Ihnen wertvolle Einblicke, praktische Tipps und inspirierende Geschichten zu vermitteln. Für diejenigen, die das Glück haben, in historischen Häusern zu leben oder davon träumen, bietet die Einrichtung mit Antiquitäten eine Möglichkeit, die Authentizität und den Charme dieser Gebäude zu bewahren und hervorzuheben. Doch auch moderne Wohnungen können von der Einbindung antiker Stücke profitieren, indem sie eine besondere Tiefe und Persönlichkeit erhalten. Der Kunst- und Antiquitätenmarkt ist sowohl für Liebhaber als auch für Investoren eine spannende Arena. Die richtigen Stücke zu finden und zu erwerben erfordert jedoch Geduld und auch ein wenig Glück.

Daher plane ich seit einigen Jahren bereits jedes Frühjahr eine Inspirations-Reise, die mir als Antik- und Vintage-Händlerin nach den zähen Wintermonaten wieder neue Motivation und frische Ideen liefern soll.

Diesmal führte es mich in die USA. Schon lange beobachte ich, wie amerikanische Designer und Einrichtungsexperten antike Stücke auf stilvollen Märkten und Messen kaufen und meisterhaft in moderne Häuser und Villen integrieren. Über Social Media folge ich den dort ansässigen Händler-Kollegen und lasse mich von ihrer mühevollen Präsentation begeistern, die kaum mit dem lieblos hingeknallten Ramsch auf unseren Flohmärkten vergleichbar ist. Im Januar beschloss ich also, dass es endlich an der Zeit wäre, diese Märkte selbst zu erleben.

Mein Mann und ich machten uns auf die Reise nach Virginia, einem südlichen Bundesstaat, der nicht nur die Blue Ridge Mountains und dazu noch wunderschöne Küsten zu bieten hat, sondern auch einen der bekanntesten Vintage-Märkte der Region verspricht: Luckett’s Vintage Market. Zweimal im Jahr, im Mai und Oktober, kommen Händler aus dem ganzen Land für ein langes Wochenende zusammen, um ihre Waren bei Live-Musik und leckerem Street Food zu präsentieren. Das Besondere: Man kann sich mit dem „Early Buyer“-Pass Vorteile erkaufen – das heißt, vier Stunden vor allen anderen aufs Messegelände, eine prall gefüllte Goodie Bag und VIP Zugang an allen drei Messetagen. Ein Muss für uns und gleichzeitig ein Konzept, das in Deutschland für umgerechnet 50 Euro p.P. undenkbar wäre, weil es erstens bei einem (vergleichsweise hohen) Eintritt für einen Antikmarkt einen Aufschrei geben würde und zweitens, weil damit dem Stereotyp „geiziger Deutscher“ ein Grund mehr gegeben würde, die Händlerpreise noch stärker herunterzuhandeln. Schwingt da ein wenig Frustration mit deutschen Kunden mit? Ich frage mich, ob es schonmal jemand mit einem solchen Konzept versucht hat. Voller Vorfreude und topmotiviert fuhren wir eine Stunde vor Einlass zum gigantischen Gelände in der Annahme, sogar viel zu früh zu sein, da es wohl nicht so viele "Early Buyers“ gebe. Falsch gedacht!

Zu unserer Überraschung war die Schlange bereits einen Kilometer lang – so viele gut gelaunte Vintage-Fans, ausgestattet mit Rucksäcken, Bollerwagen und Starbucks-Bechern. Die Begeisterung war förmlich greifbar.

Schnell kamen wir ins Gespräch mit Designern, Personal Shoppern und Privatsammlern, die sich detailliert über ihre Einkaufslisten austauschten und mit klarer Kaufabsicht angereist waren. Der Einlass war ein Spektakel für sich: Die Leute stürmten förmlich das Gelände, als würde Taylor Swift dort ein Konzert geben. Um mitzuhalten, schnappten wir uns am Eingang einen kultigen „RadioFlyer“-Bollerwagen und beschleunigten unser Tempo. Es folgte eine Reizüberflutung: Laute Country-Musik, quietschende Bollerwagen, lachende Käufer und Verkäufer, und dazu visuelle Meisterwerke an Arrangements – bis zur Zeltdecke dekoriert, perfekt ausgeleuchtet und mit hochwertigen Etiketten versehen. Die Preise? So fair, dass viele Stände bereits nach einer Stunde zur Hälfte ausverkauft waren. Das Markt-Team, ausgestattet mit einem Traktor und Anhänger, sammelte regelmäßig Möbel und Sperrgut von den Ständen und transportierte sie zu den Trucks der Käufer – ein Gratis-Service, der jegliche Transport-Bedenken aus dem Weg räumt. Durch immer weniger Parkmöglichkeiten in den Städten, fahren bei uns die meisten Kunden mit dem Fahrrad zum Antikmarkt, allenfalls in der Lage, Kleinkram zu kaufen. Die Transportfrage wird gerne als Ausrede genutzt. Auf dem Vintage Market aber war alles bestens organisiert. Zwei Geldautomaten und die Akzeptanz von Kartenzahlung bei jedem Händler, dazu kleine Elektro-Golfwagen für erschöpfte Besucher – keine Ausrede, nicht zu kaufen bis der Arzt kommt! Lokal gebrautes Bier, köstliches Essen und eine große Loungeecke trugen zur guten Laune und dem angenehmen Aufenthalt bei. Auch wir haben viel geshoppt - aber eher für uns privat als zum Weiterverkaufen.

Während ganz klar der große „Run“ auf europäische Antiquitäten abzielte, lag unser Fokus auf den typisch amerikanischen Objekten, die es bei uns in dieser Form nicht gibt.

Mein Mann ist begeisterter Sammler historischer US-Flaggen und Landkarten. Ich dagegen liebe Amerikanischen Vintage Modeschmuck. Über Social Media konnten mich meine Follower beim Stöbern und Einkaufen begleiten. Immer wieder wurde die Frage gestellt, ob ich die eingekaufte Ware nun mit dem Container nach Hause schiffe und wann ich denn zurück in der Heimat den großen Verkauf starte. Die Marktsituation ist vielen nicht bewusst: Die Kaufkraft ist in USA viel höher als bei uns. Antiquitäten gehen weg wie warme Semmeln. Dementsprechend sind die Preise im Vergleich höher und lassen keine Margen für den Weiterverkauf in Europa zu. In diese Richtung zu liefern, macht keinen wirtschaftlichen Sinn. Die andere Richtung hingegen ist viel interessanter.

Neben dem Shopping, hatte ich mir das Ziel gesetzt, in den aktiven Austausch mit anderen Händlern zu gehen, um die Möglichkeit einer Zusammenarbeit zu evaluieren.

Viele Händler suchen aktiv nach Produkt-Einkäufern in Europa, die nach ihren Wünschen bestimmte Ware beschaffen. Ein cleveres Geschäftsmodell und für mich äußerst vielversprechend. Auch hier habe ich einen extrem offenen Austausch und viele positive Rückmeldungen erhalten. Während ich zwischen Händlern in Europa eine distanziertere Haltung gewohnt bin, bin ich unglaublich überrascht von der Freundlichkeit und Anerkennung, die mir in USA zuteil wurde. Ich bin mit vielen netten Kontakten und Geschäftsmöglichkeiten abgereist. Unser Wochenende auf der Messe war wundervoll. Die vielen Eindrücke und die positive Stimmung vor Ort werden uns noch lange in Erinnerung bleiben. Doch gleichzeitig hat mich diese Erfahrung als deutsche Händlerin auch nachdenklich gestimmt.

Wie kann es sein, dass ein so kulturell junges Land wie die USA mehr Wertschätzung und Interesse an alten Schätzen zeigt, als wir in unserer Kulturhochburg Europa?

In einer Welt, die von kurzlebigen Trends dominiert wird und wo „Werte“ ständig neu definiert werden, verkennen wir die kleinen Schätze unserer Vergangenheit. Antiquitäten – die stillen Zeugen längst vergangener Zeiten, sind mehr als nur Accessoires – sie erzählen Geschichten, verkörpern handwerkliche Meisterwerke und bringen eine unnachahmliche Eleganz und Individualität in unsere Häuser. Doch wir müssen jetzt aufpassen, dass wir die Zeitzeugen unserer Geschichte in Europa nicht verlieren. Zu lange haben unsere eigenen Kulturschätze an Aufmerksamkeit eingebüßt. Jetzt, wo sie rarer werden, rücken sie wieder mehr in den Fokus. Muss man etwas erst verlieren, um es wieder schätzen zu lernen?

Über Jahrzehnte sind die Preise für Antikes in Deutschland und Europa gefallen. Im Hype des Mid-Century-Stils und modernen Industriedesigns ist die Wertigkeit antiker Möbel und dekorativer Objekte aus dem 18. und 19. Jahrhundert in Vergessenheit geraten. Dies hatte zur Folge, dass diese über einen längeren Zeitraum nahezu verschenkt wurden. „Antiquitäten sind aus der Zeit gefallen“, höre ich immer noch ab und zu Händler klagen. Wenn wir als Sammler und Antiquitätenhändler jetzt nicht handeln und unsere Schätze in Europa und Deutschland bewahren, laufen wir Gefahr, diese nach Japan, Korea oder in die USA zu verlieren. Bedeutet die deutsche Handwerkskunst und Interieur-Kultur der vergangenen Jahrhunderte anderen Ländern denn mehr als uns? Vielleicht sollten wir uns ein Vorbild an der UK nehmen. Das Königreich war immer schon etwas traditioneller - sehr darauf bedacht, die reichhaltige Geschichte rund um Adel und Monarchie zu erhalten und diese über Wohnstil und Einrichtungsgegenstände für jeden erschwinglich und nahbar zu machen.

„Antiquitäten sind für Liebhaber als auch für Investoren eine spannende Arena.“, erklärte mir eine Kundin beim Warten in der Schlange zum Vintage Markt. Sie war extra aus New York angereist. Die aktuelle Marktsituation zeigt, dass hochwertige antike Möbel und Kunstgegenstände nicht nur ästhetischen, sondern auch finanziellen Wert besitzen.

Kommt man wie ich viel in Deutschland herum und besucht die renommierten Märkte für antike Schätze, wird schnell klar: Der Stereotyp Deutsche lebt „modern-minimalistisch“. Er schaut sich die museumswürdigen Möbel und Einrichtungsgegenstände gerne an - aber eben im Museum und nicht bei sich zu Hause! Ich beobachte zunehmend, wie Händler (mich eingeschlossen) dazu tendieren, ihre sorgfältig kuratierten Schätze - von Barock bis Jugendstil und Art Déco - an US-amerikanische und asiatische Händler zu verkaufen, die diese in Massen, containerweise, ins Ausland verschiffen. Es sind derzeit meine besten Kunden - sie kaufen viel und zahlen gut! Sie haben längst verstanden, dass Individualität und Storytelling eine immer größere Rolle in unserer Gesellschaft spielen. Sie profitieren davon, dass die „Schönen und Reichen“ ihres Landes hohe Preise dafür zahlen, ihr neues Eigenheim in ein extravagantes Museum zu verwandeln. Ich freue mich über die wachsende Wertschätzung von europäischen Antiquitäten, aber die kontinuierlich exponentiell steigende Abwanderung unserer besten Stücke macht mir auch Angst.

Verschenken wir also unsere Tradition & Geschichte?

Es liegt in unserer Verantwortung, die Schätze unserer Vergangenheit zu bewahren und ihre Geschichten lebendig zu halten. Indem wir die Einzigartigkeit und den Wert von Antiquitäten erkennen und fördern, können wir nicht nur unsere eigenen Räume bereichern, sondern dazu beitragen, eine ganz neue Design-Ära einzuläuten. Der wachsende internationale Markt für europäische Antiquitäten zeigt, dass andere Kulturen die Bedeutung und Schönheit bereits erkannt haben. Lassen Sie uns die Tradition und Geschichte Europas in unseren eigenen vier Wänden ehren und bewahren, bevor es zu spät ist.

Diese Kolumne ist in Ausgabe 3/24 der Wohnzeitschrift LIVING MANORS erschienen. Text sowie Bildmaterial: © 2024 Felicia Kufferath.
Die nächste Kolumne erscheint voraussichtlich im November 2024.

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